
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte über die Regelung zur Befreiung von der Maskenpflicht bei Vorlage eines ärztlichen Attests zu entscheiden.
Nach der Verordnung des Landes Brandenburg (Dritte Verordnung über befristete Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des SARS-CoV-2-Virus und COVID-19 im Land Brandenburg vom 15.12.2020) mussten Personen, denen die Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung wegen einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist, dies grundsätzlich vor Ort durch ein schriftliches ärztliches Zeugnis im Original nachzuweisen. Weiter musste das Attest mindestens den vollständigen Namen und das Geburtsdatum, die konkret zu benennende gesundheitliche Beeinträchtigung (Diagnose) sowie konkrete Angaben beinhalten, warum sich hieraus eine Befreiung von der Tragepflicht ergibt.
Diese Regelung hielt das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung über den Eilantrag für nicht rechtmäßig. Zwar könne der Verordnungsgeber die Vorlage des Attests im Original verlangen, nicht jedoch die Angabe der Diagnose vorschreiben. Das Oberverwaltungsgericht kam im Rahmen der in Eilrechtsverfahren üblichen Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass schon fraglich sei, ob der datenschutzrechtliche Eingriff im Infektionsschutzgesetz eine hinreichende Rechtsgrundlage finde. Jedenfalls drohe dem Antragsteller, dass er seine konkrete Diagnose und sich daraus ergebene Folgen an einer Vielzahl von nicht-öffentlichen Stellen (Geschäfte, öffentliche Verkehrsmittel, Arbeits- und Betriebsstätten, Büro- und Verwaltungsgebäude, Versammlungen unter freiem Himmel, religiöse Veranstaltungen) vor Ort offenbaren müsse. Diese Stellen waren ihrerseits nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet, Bußgelder drohten diesen nicht.
Die Regelung, dass das Attest auch eine Diagnose enthalten müsse, wurde daher vom Oberverwaltungsgericht vorläufig außer Kraft gesetzt. Mittlerweile (Stand 31.01.2021) hat das Land Brandenburg die Regelung geändert, danach muss das Attest nur dann zusätzlich konkrete Angaben beinhalten, warum die betroffene Person von der Tragepflicht befreit ist, wenn es bei Behörden oder Gerichten vorgelegt wird. Eine Kopie des Attests darf nicht gefertigt werden (vgl. Fünfte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung des Landes Brandenburg vom 22.01.2021).
Fundstellen: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.01.2021, Az. OVG 11 S 132/20, Beschluss vom 06.01.2021, Az. OVG 11 S 138/20; Pressemitteilung vom 07.01.2021

Das Berliner Institut für Sozialforschung hat die heutige Lebenslage der Opfer von DDR-Unrecht und deren Familienangehöriger in Brandenburg wissenschaftlich erforscht. Die Sozialstudie kommt zu dem Ergebnis, dass die extremen Belastungen und die Ausnahmeerfahrungen den weiteren Lebensverlauf der meisten Betroffenen negativ beeinflusst haben. Das verfügbare Einkommen der Betroffenen stelle sich oft als sehr prekär dar und liege deutlich unter dem Durchschnitt der Bevölkerung im Land Brandenburg. 49 % der Betroffenen verfügen über ein persönliches monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 €.
Die Betroffenen klagen noch heute in 70 % der Fälle über psychische Folgen und in 38 % der Fälle über körperlichen Folgen des erlittenen Unrechts. Häufig treten bei ihnen beispielsweise Schlafstörungen, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen auf.
Die negativen materiellen Folgen und die Auswirkungen des Unrechts auf die berufliche Laufbahn wirken bis heute stark nach. Betroffene die für das erlittene Unrecht juristisch rehabilitiert wurden, schätzen nach den Ergebnissen der Studie ihren Gesundheitszustand als besser ein und sind zufriedener mit der Demokratie in Deutschland. Betroffene von DDR-Unrecht stehen dabei der demokratischen Gesellschaft heute ohnehin insgesamt positiver gegenüber als der brandenburgische Bevölkerungsdurchschnitt.
Fundstellen: Die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, Berliner Institut für Sozialforschung GmbH, „Studie zu aktuellen Lebenslagen von Menschen aus dem Land Brandenburg, die in der SBZ / DDR politisch verfolgt wurden oder Unrecht erlitten und deren mitbetroffenen Familien“

Das Kammergericht hatte über einen vom Amtsgericht erlassenen Haftbefehl in einem Strafbefehlsverfahren zu entscheiden. Das Amtsgericht hatte zunächst einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe erlassen, gegen den die Beschuldigte Einspruch eingelegt hatte. Ein Strafbefehl ähnelt einer Anklageschrift, enthält aber eine konkrete Strafe und wird von einem Gericht erlassen. Legt der Beschuldigte gegen einen Strafbefehl keinen Einspruch ein, dann steht der Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich. Auf diese Weise kann daher ein Strafurteil ohne mündliche Verhandlung ergehen, die Strafhöhe kann dabei bis zu einem Jahr Bewährungsstrafe betragen.
Nach den Vorschriften der Strafprozessordnung kann sich der Beschuldigte -nach eingelegtem Einspruch gegen einen Strafbefehl- in der mündlichen Verhandlung grundsätzlich durch einen Verteidiger vertreten lassen. In dem vom Kammergericht zu entscheidenden Fall hatte das Amtsgericht allerdings das persönliche Erscheinen der beschuldigten Person angeordnet. Diese war zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen, weshalb das Amtsgericht einen Haftbefehl erlassen hat.
Die von mir hiergegen eingelegte Beschwerde wurde vom Landgericht Berlin verworfen, die weitere Beschwerde zum Kammergericht hatte dagegen Erfolg. Das Kammergericht hob den Haftbefehl durch Beschluss vom 11.12.2019 mit der zutreffenden Begründung auf, dass der Erlass des Haftbefehles nicht verhältnismäßig war. Hier hätte das Amtsgericht u. a. die Möglichkeit prüfen müssen, ob es auch ohne Anwesenheit der betroffenen Person hätte verhandeln können. Selbst wenn das persönliche Erscheinen angeordnet wird, kommt der Erlass eines Haftbefehls nur in Betracht, wenn das Gericht nach sorgfältiger Prüfung diese Möglichkeit ausgeschlossen hat. Zwar kann das Amtsgericht auch wegen des Nichterscheinens bei persönlicher Ladung des Beschuldigten einen Haftbefehl erlassen, das muss aber in der Ladung jeweils ausdrücklich angedroht werden, was hier nicht der Fall war.
Das Kammgericht weist ergänzend darauf hin, dass dem Strafbefehlsverfahren die Verhaftung des Angeklagten strukturell fremd ist. Der Erlass eines Haftbefehls darf zudem nicht dem Selbstzweck dienen, den Ungehorsam des Angeklagten zu ahnden. Es müsste also vor Erlass eines Haftbefehls vom Gericht sorgfältig geprüft und dargelegt werden, dass die Aufklärungspflicht oder andere zwingende Gründe die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung unbedingt erforderlich machen.
Fundstelle: Kammergericht, Beschluss vom 11.12.2019, Az. 2 Ws 200/19 – 121 AR 293/19

Die Bußgeldnorm der Berliner Corona-Eindämmungsverordnung für Verstöße gegen das Mindestabstandsgebot und das Gebot, physisch soziale Kontakte auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren, wurde vom Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin mit Beschluss vom 20.05.2020, Az. VerfGH 81 A/20, einstweilen außer Kraft gesetzt.
Im Rahmen einer Folgenabwägung führt der Verfassungsgerichtshof in dem Beschluss aus, dass sich die Bußgeldvorschrift (§ 24 SARS-CoV-2-EindmaßnV) auf (zu) unbestimmte Rechtsbegriffe in der Eindämmungsverordnung bezieht (nämlich auf § 1 Satz 1 und 2 SARS-CoV-2-EindmaßnV). Der Bürger könne nicht in ausreichender Weise erkennen, welche Handlungen oder Unterlassungen bußgeldbewehrt sind.
Diese mangelnde Erkenntnismöglichkeit kann gerade rechtstreue Bürgerinnen und Bürger veranlassen, sich in ihren Grundrechten noch weiter zu beschränken, als es erforderlich wäre, um keine Ordnungswidrigkeit zu begehen.
Eine Bußgeldandrohung von bis zu 25.000 Euro entfaltet zusätzliche abschreckende Wirkung. Der vom Berliner Senat erlassene Bußgeldkatalog wurde zudem nicht angepasst, der Großteil der Tatbestände des Bußgeldkatalogs lässt sich nicht mehr in Einklang mit den mittlerweile gelockerten Corona-Verordnungen bringen.
Damit hat der Verfassungsgerichtshof zwar noch nicht darüber entschieden, ob die Bußgeldvorschrift auch verfassungswidrig ist. Es dürfte aber zu erwarten sein, dass auch im Hauptsachverfahren die Bußgeldvorschrift in der jetzigen Form (Stand 27.05.2020) keinen Bestand haben wird.
Fundstelle: Verfassungsgerichtshof von Berlin, Beschluss vom 20.05.2020, Az. VerfGH 81 A/20; Pressemitteilung vom 26.05.2020

Das Amtsgericht Bernau bei Berlin hält die Strafverfolgung von Cannabisdelikten für verfassungswidrig und hat diese Frage daher mit Beschluss vom 18.09.2019 dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Nach Auffassung des Amtsgerichts Bernau sind alle Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), soweit sie Cannabisprodukte in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG mit der Folge aufführen, dass der unerlaubte Verkehr mit diesen Stoffen den Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegt, verfassungswidrig.
Auch die Strafverfolgung des Erwerbs von Cannabis hält das Amtsgericht Bernau für verfassungswidrig. Der Beschluss des Amtsgerichts Bernau wurde umfangreich begründet und nunmehr veröffentlicht. Die Bestrafung von Cannabisdelikten verstößt nach dem Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Bernau u. a. gegen das Freiheitsrecht der Bürger, den Gleichheitsgrundsatz, das Gesetzlichkeitsprinzip, die allgemeine Handlungsfreiheit und das Recht auf Rausch.
Das Amtsgericht Bernau hält eine verfassungskonforme Auslegung der Normen des Betäubungsmittelgesetzes etwa durch die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, von einer Bestrafung abzusehen, für nicht möglich. Dies ergäbe sich vor allem aus der Strafrechtspraxis, die hiervon wenig Gebrauch mache. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus (Stand 22.04.2020).
Fundstellen: Amtsgericht Bernau, Beschluss vom 18.09.2019, Az. 2 Cs 226 Js 7322/19 (346/19); Pressemitteilung vom 20.04.2020

Die neue Gesetzeslage im Rehabilitierungsrecht für DDR-Unrecht (vgl. Blogartikel „Neue Rehabilitierungsgesetze für DDR-Unrecht in Kraft“ vom 28.11.2019) führt mittlerweile auch zu einer veränderten Rechtsprechung. Das Oberlandesgericht Rostock hatte mit Beschluss vom 12.2.2020, Az. 22 Ws_Reha 2/20, über einen solchen Fall zu entschieden.
Das betroffene ehemalige Heimkind war in der DDR in das Durchgangsheim Schwerin und in den Jugendwerkhof „Hübner-Wesolek“ in Bernburg eingewiesen worden und hatte diesbezüglich seine Rehabilitierung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz beantragt. Das Landgericht Schwerin lehnte den Antrag ab und verweigerte selbst die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Das Oberlandesgericht hatte über die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Schwerin zu entscheiden und kam zu dem Ergebnis, dass die ablehnende Entscheidung des Landgerichts nach dem damals geltenden (alten) Recht rechtmäßig gewesen sei, nunmehr aber nach der Gesetzesänderung eine Rehabilitierung zu erfolgen habe. Das Oberlandesgericht hob daher die Entscheidung des Landgerichts Schwerin auf und rehabilitierte die Antragstellerin vollständig.
Nach der neuen Rechtslage gilt eine Regel nach der vermutet wird, dass Einweisungen in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare Einrichtung der politischen Verfolgung oder sachfremden Zwecken dienten. Dem ehemaligen Heimkind eines Spezialheims wird damit die Beweisführung erleichtert. Im vorliegenden Fall hatte die Jugendhilfekommission, die Einweisung u. a. mit angeblichen Erziehungsschwierigkeiten der betroffenen Person begründet. Das reicht aber nicht aus, um die neue Regelvermutung zu entkräften, zumal gegen die betroffene Person wegen der Nichtanzeige einer geplanten Republikflucht ermittelt worden. Das Strafverfahren gegen die betroffene Person war von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, weil die Jugendhilfe Maßnahmen gegen die Betroffene eingeleitet hatte. Eine politische Motivation der Heimeinweisung lag mithin nahe.
Das Oberlandesgericht hat in dem Beschluss zudem klargestellt, dass unter die neu eingeführte Vermutungsregel auch Durchgangsheime und Jugendwerkhöfe fallen. Prozesskostenhilfe wurde nachträglich für beide Instanzen bewilligt.
Fundstelle: Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 12.02.2020, Az. 22 Ws_Reha 2/20

Die vom Bundestag am 24.10.2019 beschlossenen Gesetzesänderungen der Rehabilitierungsgesetze (vgl. Blogartikel vom 27.10.2019: Änderungen in den Rehabilitierungsgesetzen beschlossen), wurden mittlerweile vom Bundespräsidenten ausgefertigt und am 28.11.2019 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Die Gesetzesänderungen traten daher am 29.11.2019 in Kraft.
Fundstelle: Bundesgesetzesblatt, Jahrgang 2019 Teil I Nr. 42 (BGBl. 2019 I 1752)

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 05.11.2019, Az. 1 BvL 7/16, entschieden, dass die derzeitige Sanktionsregelung für Hartz-IV-Bezieher teilweise verfassungswidrig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der Staat verpflichtet ist, das menschenwürdige Existenzminimum jedes Menschen sicherzustellen und dass die eigenständige Existenzsicherung des Menschen ist nicht Bedingung dafür sein kann, dass ihm Menschenwürde zukommt.
Das Bundesverfassungsgericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Sanktionsregelungen teilweise zu starr sind, weil sie außergewöhnliche Härten nicht ausreichend berücksichtigen und einen Sanktionszeitraum von drei Monaten vorgeben, ohne dass hiervon abgewichen werden kann. Hier hat der Gesetzgeber die Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums überschritten.
Die Sanktionierung einer wiederholten Mitwirkungsverpflichtung in Höhe von 60 % des Regelbedarfs ist zudem verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die Minderung des Hartz-IV-Satzes in der Höhe von 60 % ist unzumutbar, weil das grundrechtlich gewährleistete Existenzminimum nicht mehr gewährleistet wird und starr für drei Monate angeordnet wird.
Konsequenterweise hat das Bundesverfassungsgericht zudem entschieden, dass der vollständige Wegfall des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV) wegen einer Pflichtverletzung verfassungswidrig ist. Nach dieser Entscheidung dürfen derzeit also keine Sanktionen über 30 % des Regelsatzes verhängt werden. Von einer Sanktionierung kann abgesehen werden, wenn dies zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Die Behörde kann zudem die Leistungen wieder erbringen, sobald die Mitwirkungspflicht erfüllt wird oder der Leistungsberechtigte sich ernsthaft und nachhaltig bereit erklärt, den Pflichten nachzukommen.
Fundstelle: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 74/2019, Urteil vom 05.11.2019, Az. 1 BvL 7/16

Der Bundestag hat am 24.10.2019 in dritter Lesung umfangreiche Änderungen an den Rehabilitierungsgesetzen für DDR-Unrecht verabschiedet.
Danach wird eine Vermutung aufgestellt, dass die Unterbringungsanordnung in einem Kinderheim rechtsstaatswidrig war, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare der Zwangsumerziehung dienende Einrichtung stattfand. Dieselbe Vermutung gilt, wenn gleichzeitig mit der Unterbringung der Kinder rechtsstaatswidrige, freiheitsentziehende Maßnahmen gegen die Eltern oder Elternteile vollstreckt wurden. Es muss ein Sach- und Zeitzusammenhang bestehen.
Die Opferrente wird von 300,00 € monatlich auf 330,00 € erhöht. Die dafür notwendige Haftdauer wird von 180 Tagen auf 90 Tage halbiert! Verfolgte nach dem beruflichen Rehabilitierungsgesetz erhalten statt 214,00 € monatlich nunmehr 240,00 € (bzw. für Rentner 180,00 € statt wie bisher 153,00 €).
Heimkinder, die wegen der rechtsstaatswidrigen Haft der Eltern ins Heim gekommen sind und nicht rehabilitiert wurden, weil sie nicht selbst verfolgt wurden, bekommen trotz einer negativen Rehabilitierungsentscheidung einen eigenen Anspruch auf die Opferrente (wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen). Sie können nunmehr also direkt die Opferrente beantragen.
Die Antragsfristen werden gestrichen.
Für festgestellte Zersetzungsmaßnahmen, für die bisher keine Ausgleichsleistungen gezahlt wurden, wird eine einmalige Zahlung in Höhe von 1.500,00 € eingeführt.
Fundstelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 24.10.2019

Immer wieder wird kritisiert, dass die Rechtsprechung in den Bundesländern bezüglich der Rehabilitierung von DDR-Unrecht relativ stark voneinander abweicht. Was in einem Bundesland als rechtsstaatswidrig rehabilitiert wird, wird von Gerichten in anderen Bundesländern gehalten. Gerade was die Rehabilitierung von ehemaligen Heimkindern angeht, bestehen in der Rechtsprechung größere Divergenzen (vgl. „Rechtsstaatswidrigkeit einer Heimeinweisung in ein „Normalkinderheim“ der DDR“ vom 17.09.2018).
Das Kammergericht in Berlin vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass bei Heimunterbringungen in der DDR nur die Einweisungsverfügung als solche, nicht hingegen deren Folgen, also die konkreten Lebensbedingungen in dem jeweiligen Heim, zu prüfen sind. Der gegenläufigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt in Naumburg schließt sich das Kammergericht ausdrücklich nicht an. Seit einigen Jahren hebt das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt Einweisungen von Kindern und Jugendlichen in Spezialheime und Jugendwerkhöfe aufgrund des dort verfolgten Zwecks der Umerziehung in der Regel als unverhältnismäßig auf.
Seine restriktive Rechtsprechung muss das Kammergericht nun aber überprüfen. Denn der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat mit Beschluss vom 16.01.2019, Az. 145/17, eine Entscheidung des Kammergerichts zu DDR-Heimeinweisungen aufgehoben. Das Verfassungsgericht sah das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 15 Abs. 4 Satz 1 der Berliner Verfassung dadurch verletzt, dass das Kammergericht nicht ausreichend aufgeklärt hat, ob und in welchem Umfang es in den Spezialkinderheimen der DDR systematisch zu menschenrechtsverletzenden Übergriffen gekommen ist und was Ursache dafür war. Das Gericht ist seiner Pflicht zur Amtsermittlung nicht nachgekommen, weil es sich mit dem aktuellen Forschungsstand zu den Lebensumständen in den Spezialheimen der DDR nicht nachvollziehbar auseinandersetzt hat. Der Verfassungsgerichtshof führt wörtlich in dem Beschluss vom 16.01.2019 aus:
„Gegebenenfalls hätte es nahegelegen, mithilfe eines Sachverständigen weiter zu ermitteln, ob und in welchem Umfang es in den Spezialheimen […] systematisch zu menschenrechtsverletzenden Übergriffen gekommen ist und was Ursache dafür war.“
Eine Änderung der Berliner Rechtsprechung zu den Einweisungen in Spezialheime und Jugendwerkhöfe erscheint daher möglich, die nächste Entscheidung des Kammergerichts wird es zeigen.
Fundstelle: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 16.01.2019, Az. 145/17

Wie bereits mehrfach berichtet, begegnet die Rehabilitierung von Heimkindern in der DDR oft rechtlichen Schwierigkeiten (vgl. „War eine DDR-Heimeinweisung eines Kindes rechtsstaatswidrig bei politischer Verfolgung der Eltern?“ vom 17.06.2018, „Eine der politischen Repression dienende Heimeinweisung ist rechtsstaatswidrig“ vom 12.11.2017). In der DDR gab es im Wesentlichen drei Typen von Heimen sogenannte Normalkinderheime, Spezialheime und Jugendwerkhöfe. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt in Naumburg war die Einweisung in ein Spezialheim oder in einen Jugendwerkhof im Regelfall rechtsstaatswidrig, wenn der Eingewiesene nicht zuvor durch massive Straffälligkeit aufgefallen ist oder sich gemeingefährlich verhalten hat. Die Einweisung ist dann als unverhältnismäßig zu beurteilen, sie war nicht mehr am Kindswohl orientiert, sondern diente der Umerziehung (vgl. Beschluss des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 26. Oktober 2017, Az. 2 Ws (Reh) 36/17). Das Oberlandesgericht führt in dem Beschluss vom 26.10.2017 aus, dass es aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse überzeugt sei, dass die Erziehung in Spezialheimen der Jugendhilfe maßgeblich darauf ausgerichtet war, die Persönlichkeit der Betroffenen zu brechen, um aus ihnen Persönlichkeiten nach den ideologischen Vorstellungen des SED-Regimes zu formen. Zu diesem Zwecke wurden schwere Menschenrechtsverletzungen planmäßig eingesetzt, weshalb regelmäßig eine Rechtsstaatswidrigkeit bei einer Einweisung in ein Spezialheim (oder einen Jugendwerkhof) angenommen wird.
Andere Rehabilitierungsgerichte sehen diese Rechtsprechung kritisch und prüfen auch bei Einweisungen in einen Jugendwerkhof vor allem die in dem Einweisungsbeschluss wiedergegebenen Gründe auf ihre Rechtsstaatswidrigkeit. Die in den Heimen herrschenden Umstände treten dann bei der Prüfung dagegen in den Hintergrund. Das Brandenburgische Oberlandesgericht prüft dagegen -ähnlich wie das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt- im Rahmen einer Einzelfallprüfung auch, ob die Einweisung gegen das Übermaßverbot wegen der in dem jeweiligen Heim herrschenden Umstände verstieß.
In dem von mir für das ehemalige Heimkind geführten Rehabilitierungsverfahren hatte das Brandenburgische Oberlandesgericht über die Einweisung in ein sogenanntes „Normalkinderheim“ zu entscheiden. Das Oberlandesgericht kam auch in diesem Verfahren zu dem Ergebnis, dass die Einweisung als rechtsstaatwidrig zu beurteilen war, weil ein grobes Missverhältnis zwischen Anlass für die Unterbringungsentscheidung und der angeordneten Rechtsfolge vorlag. Die Einweisung des Jugendhilfeausschusses wurde darauf gestützt, dass bezüglich der häuslichen Ordnung und Sauberkeit in der Familie Defizite bestanden haben sollen und beim Bruder erste Verwahrlosungserscheinungen aufgetreten sein sollen. Die Kinder seien schmutzig und ohne die notwendigen Arbeitsmaterialien in der Schule erschienen. Sie hätten eine ungenügende Arbeitseinstellung gezeigt, keine Hausaufgaben angefertigt und zeitweilig den Unterricht gebummelt. Die Eltern seien keiner geregelten Arbeit nachgegangen, weswegen es zu finanzielle Problemen gekommen sei. Die Betroffene habe sich angeblich durch Lügen und Diebstähle isoliert, ihr Freundeskreis habe sich zudem aus Kindern sozialgefährdeter Familien zusammengesetzt.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat richtiger Weise festgestellt, dass das keine tragfähige Begründung für eine gravierende soziale Gefährdung darstelle, die einen plausiblen Anlass für die Herauslösung der Betroffenen aus dem Elternhaus rechtfertigen könnte. Der Beschluss stehe vielmehr im Einklang mit der in der DDR herrschenden Rechtspraxis, ein anderes Leben als das eines fleißigen und staatsbejahenden Schülers als asozial zu stigmatisieren. Die Heimunterbringung sollte auch nach dem DDR-Recht immer das letzte Mittel sein, was hier erkennbar nicht der Fall war. Die Einweisung stellt daher auch in Anbetracht der damit verbundenen Konsequenzen einen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar und wurde daher zutreffend als rechtsstaatswidrig aufgehoben.
Fundstellen: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21.06.2018, Az. 2 Ws (Reha) 14/17

Der Bundesgerichtshof hat im Jahr 2015 entschieden, dass die Heimeinweisung eines Kindes nicht schon deshalb rechtsstaatswidrig war, wenn die Eltern aufgrund politischer Verfolgung inhaftiert wurden und nur aus diesem Grund ein Kind in einem Heim untergebracht wird (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.03.2015, Az. 4 StR 525/13). In einem solchen Fall ist die Einweisung nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs lediglich die Folge einer Inhaftierung, diente aber selbst nicht dazu, das Kind politisch zu verfolgen.
Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war ganz erheblicher Kritik ausgesetzt, einige Bundesländer haben bereits eine Gesetzesinitiative gestartet, das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz entsprechend zu ändern, dass auch Kinder die aufgrund der politischen Inhaftierung der Eltern in ein Heim eingewiesen wurden, selbst zu rehabilitieren sind (vgl. Bundesrat, Drucksache 642/17 vom 03.11.2017). Den Kindern stünden in einem solchen Fall grundsätzlich auch die Haftentschädigung und weitere Leistungen wie die Opferrente zu (vgl. auch den Blogeintrag „Eine der politischen Repression dienende Heimeinweisung ist rechtsstaatswidrig“ vom 12.11.2017).
Allerdings kann auch nach der derzeitigen Rechtslage ein ehemaliges Heimkind wegen der politischen Verfolgung eines Elternteils rehabilitiert werden, wenn es dem ehemaligen Heimkind gelingt den Nachweis zu erbringen, dass die Heimeinweisung als politisches Druckmittel gegen die Eltern eingesetzt wurde. In einem solchen Fall ist auch die Heimeinweisung des Kindes für rechtsstaatswidrig zu erklären, denn diese war nicht von fürsorglichen Motiven sondern (auch) von politischen getragen. Der Bundesgerichtshof hatte in dem oben genannten Beschluss auch ausdrücklich festgestellt, dass es unerheblich sei, ob sich der mit der Heimeinweisung verfolgte Verfolgungszweck gegen die unterzubringende Person selbst oder Dritte richtete. Auch die zur politischen Disziplinierung von Eltern oder Verwandten angeordnete Heimunterbringung stellt sich als politische Verfolgung im Sinne des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes dar (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.03.2015, Az. 4 StR 525/13).
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat in einem von mir für den Betroffenen geführten Verfahren daher auch entschieden, dass der Heimaufenthalt meines Mandanten ab dem nachgewiesenen Zeitpunkt der politischen Verfolgung der Mutter für rechtsstaatswidrig zu erklären ist (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 07.11.2017, Az. 2 Ws (Reha) 13/16).
Der Antragsteller war bereits kurz nach der Geburt in ein Heim gekommen. Seine Mutter war wenig später nach Westdeutschland gegangen, nachdem sie wegen gewerbsmäßiger Unzucht, Einfuhr von Zahlungsmitteln und Landstreicherei verurteilt worden war. Der Antragsteller wurde in ein Heim eingewiesen, die Jugendhilfe übernahm die Vormundschaft. Er verbachte seine Kindheit in unterschiedlichen Heimen sowie zeitweilig in einer Bezirksnervenklinik.
Der Versuch der Mutter im Jahr 1960 wieder in die DDR zu gelangen, scheiterte daran, dass die Mutter von der DDR nicht wieder aufgenommen und stattdessen in den Westen ausgewiesen wurde. Das Oberlandesgericht sah es trotz einiger, darauf hindeutender Indizien als nicht ausreichend erwiesen an, dass die Mutter wegen ihrer fehlenden Bereitschaft, mit der Staatssicherheit zu kooperieren, ausgewiesen wurde. Das Oberlandesgericht war nicht überzeugt davon, dass bereits zu diesem Zeitpunkt der in einem Heim befindliche Sohn als Druckmittel eingesetzt wurde.
Allerdings ließ sich in dem Rehabilitierungsverfahren nachweisen, dass der betroffene Sohn bei dem erneuten Einreiseversuch der Mutter im Jahr 1968 sehr wohl als Druckmittel der Stasi gegen die Mutter eingesetzt wurde, diese zu einer Mitarbeit bei der Stasi zu nötigen. Die Mutter ging dieses Mal darauf ein, für die Stasi zu arbeiten. Sie erhoffte sich damit, dass ihr die DDR die Möglichkeit einräume, wieder bei ihrem Sohn zu sein und für diesen in der Zukunft sorgen zu können. Die Mutter willigte damals ein, zunächst in Westberlin für die Stasi als Spion zu arbeiten. Allerdings wurde sie dort von der Westberliner Polizei unter dem Verdacht des Führens landesverräterischer Beziehungen kurzzeitig festgenommen und verhört. In dem Verhör der Westberliner Polizei gestand sie, dass sie für die Stasi tätig war und wurde im Anschluss aus der Untersuchungshaft unter Auflagen entlassen. Sofort flüchtete sie zurück in die DDR und wurde in einem Aufnahmelager untergebracht. Jetzt konnte sie endlich in der Nähe ihres Sohnes sein, den sie in der Bezirksnervenklinik besuchen konnte. Das Glück des Wiedersehens währte allerdings nur kurz, als die Stasi herausfand, dass die Mutter nicht nur festgenommen und verhört worden war, sondern auch gegenüber der (West-)Berliner Polizei gestanden hatte, für die Stasi zu arbeiten. Diese Dekonspiration gegenüber dem Klassenfeind wurde der Mutter des Betroffenen nicht verziehen. Aufgrund dieses von der Stasi als Verrat gewerteten Verhaltens der Mutter wurde diese umgehend aus der DDR wieder in den Westen abgeschoben und der betroffene Sohn musste bis zu seiner Volljährigkeit im Heim bleiben.
Das Oberlandesgericht hat in dem Beschluss vom 07.11.2017 richtiger Weise festgestellt, dass das Fortdauern der Heimunterbringung des Sohnes seit der Rückkehr der Mutter in die DDR im Jahr 1968 der politischen Verfolgung gedient hat. Die Heimunterbringung war daher aufzuheben und mein Mandant für diesen Zeitraum zu rehabilitieren. Denn die Heimunterbringung war das Mittel, die Mutter zur Zusammenarbeit mit der Stasi zu bewegen. Die Unterbringung des Betroffenen zielte daher auch darauf ab, eine politisch intendierte Benachteiligung herbeizuführen. Unerheblich ist dabei nach der Auffassung des Oberlandesgerichts, ob sich der mit der Heimfortdauer verfolgte Zweck gegen die untergebrachte Person selbst oder gegen Dritte richtete. Eine Heimunterbringung ist nämlich auch dann als rechtsstaatswidrig anzusehen, wenn sie sich gegen Eltern oder Verwandte richtete.
Fundstellen: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 07.11.2017, Az. 2 Ws (Reha) 13/16

Bereits am im Jahr 2014 hatte ich darüber berichtet, dass sich die Berliner Polizei weigert, Frauen mit Brustimplantaten einzustellen. Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin das für rechtswidrig erklärt hatte, hätte man meinen können, dass damit die Rechtlage geklärt war, zumal sich zahlreiche andere Verwaltungsgerichte dem Urteil anschlossen (vgl. Artikel „Frauen mit Brustimplantaten dürfen zur Berliner Polizei“ vom 05.03.2014, „Dürfen Frauen mit Brustimplantaten zur Polizei? Verwaltungsgericht München gibt Bewerberin im Eilverfahren Recht“ vom 26.09.2016 und „Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: Frau mit Brustimplantat darf zur Polizei“ vom 24.01.2017). Die Berliner Polizei sah das dagegen anders und legte Berufung ein und wies in der Folge weiter Frauen mit Brustimplantaten als Polizisten ab. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat in dem Berufungsverfahren mehrere Sachverständige mit Materialgutachten beauftragt, dabei kam wenig überraschend heraus, dass Frauen mit Brustimplantaten kein signifikant höheres Risiko haben, für längere Zeit wegen der Brustimplantate dienstunfähig zu werden. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat daher mit Urteil vom 28.03.2018, Az. OVG 4 B 19.14, die Bewerbungsablehnung für rechtswidrig erklärt. Die durch die Gutachten nicht gerade niedrigen Kosten des Verfahrens musste natürlich die Berliner Polizei tragen. Stellt die Berliner Polizei jetzt endlich Frauen mit Brustimplantaten ohne jahrelange Rechtsstreitigkeiten ein? Man wird es sehen.
Fundstelle: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.03.2018, Az. OVG 4 B 19.14

Der fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte im Jahr 2012 entschieden, dass ein Arbeitnehmer auch an eine unbillige Weisung des Arbeitgebers zunächst gebunden sei. Ihm blieb danach lediglich die Möglichkeit gleichzeitig Klage beim Arbeitsgericht zu erheben, um die Unverbindlichkeit der Weisung feststellen zu lassen. Bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung hätte der Arbeitnehmer die Weisung aber befolgen müssen, um nachteilige arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.2.2012, 5 AZR 249/11).
Diese Rechtsprechung ist vielfach kritisiert worden. Der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts vertritt nun die Auffassung, dass ein Arbeitnehmer eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber unabhängig von der Anrufung eines Arbeitsgerichts nicht befolgen muss. Das begründete der zehnte Senat im Wesentlichen damit, dass die gesetzliche Grundlage (§ 106 GewO) keine ausdrückliche Regelung über die Rechtsfolgen von Weisungen, die billigem Ermessen nicht entsprechen, enthält. Der Wortlaut lege aber nahe, dass der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nur dann näher bestimmen kann, wenn er billiges Ermessen wahrt. Hält er diese Grenzen nicht ein, verlässt er den Rahmen, den das Gesetz für sein Bestimmungsrecht vorgibt. Aus den allgemeinen Grundsätzen der Billigkeitskontrolle ergäbe sich auch nichts anderes. Eine vorläufige Bindung des Arbeitnehmers sei daher nicht anzunehmen (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.6.2017, 10 AZR 330/16 (A)). Der letzteren Meinung hat sich nunmehr mit Beschluss vom 14.9.2017, 5 AS 7/17, auch der fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts angeschlossen. Eine vorläufige Bindung an eine unbillige Weisung des Arbeitgebers besteht demnach nicht mehr.
Fundstellen: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.9.2017, 5 AS 7/17; Beschluss vom 14.6.2017, 10 AZR 330/16 (A); Urteil vom 22.2.2012, 5 AZR 249/11

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 17.11.2017, Az. BVerwG 2 C 25.17, entschieden, dass ein Polizeikommissar im Land Berlin aus dem Polizeidienst entfernt werden kann, wenn er Tätowierungen von Runenzeichen und Emblemen rechtsextremistischer, rassistischer Musikgruppen trägt, wiederholt den Hitlergruß gezeigt, mit einer Hakenkreuzflagge posiert und nationalsozialistische Devotionalien in seiner Wohnung verwahrt hat. Der Beamte habe durch die (öffentlich nicht sichtbare) Tätowierung die Treuepflicht gegenüber dem Land Berlin verletzt, denn damit habe er dokumentiert, dass er sich mit einer verfassungswidrigen Organisation oder Ideologie identifiziere. Der Beamte hatte sich eine Wolfsangel, eine Odalrune und eine Sigrune, die sich zusammen mit weiteren nordischen bzw. mythischen Zeichen im Bereich der linken Schulter um einen Wikingerkopf ranken, tätowieren lassen. Bei ihm zu Hause waren u.a. gerahmte Abbildungen von Adolf Hitler, Rudolf Heß und Horst Wessel neben anderen Devotionalien der rechten Szene gefunden worden. Bei seiner Freundin waren Fotos mit dem Beamten gefunden worden, auf denen er den Hitlergruß gezeigt haben soll. Diese Umstände waren bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, ob in den Tätowierungen ein Verstoß gegen die politische Treupflicht zu sehen ist.
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Polizeibeamter für seinen Beruf nicht geeignet ist, wenn er die freiheitlich-demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung des Grundgesetzes ablehnt. Die Ermittlungsverfahren gegen den Polizeibeamten waren zwar eingestellt worden, wegen des Verdachts der Aufforderung zu Straftaten bzw. Volksverhetzung ist der Beamte vom Landgericht Berlin sogar freigesprochen worden, auf die Strafbarkeit komme es nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts dabei jedoch nicht entscheidend an. Zuvor hatten das Verwaltungsgericht Berlin und das Oberverwaltungsgericht Berlin in den nicht öffentlich-sichtbaren Tätowierungen wegen der fehlenden Außenwirkung keinen Verstoß gegen die politische Treuepflicht eines Polizeibeamten gesehen.
Fundstellen: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.11.2017, Az. BVerwG 2 C 25.17, Pressemitteilung Nr. 79/2017 vom 17.11.2017; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.05.2017, Az. 80 D 6.13; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 09.04.2013, Az. 80 K 22.12 OL